El Chorro. Natur. Klettern. Welch ein Wochenende!

Sprachlos. Wie das beschreiben?

Schlucht. Tiefe Schlucht. Vierhundert Meter tief. Auf halber Höhe ein angesetzter Betonweg. Eineinhalb Meter breit, maximal. Mal mit Geländer, mal ohne. Rechts zweihundert Meter senkrecht hoch, links zweihundert Meter senkrecht runter. Der Weg seit Jahrzehnten nicht gepflegt, Löcher drin, Durchblick nach unten. Stellenweise nur noch Camino del Rey, Anfang der äußere Stahlträger vorhanden, drei Meter Luftloch, überqueren nur auf dem Träger und am lokal am Berg eingelassenen Stahlseil. Zweihundert Meter hoch.

Eng an der Wand entlang, ganz rechts halten. Bloß nicht an den äußeren Rand geraten, ein Fehltritt, einmal schwächeln, einmal das Gleichgewicht verlieren und ich bin weg. Ist das tief! Und je weiter wir gehen, um so tiefer. Eine Kindheiterinnerung taucht auf: Mein Vater auf Funktürmen, 340m hoher Gittermast, einmal nimmt er mich mit: Gitterroste als Boden, durchgucken in die Tiefe ... das ist zu weit weg, als daß es bedrohlich erscheint. Nur noch ein Bild, in dem sich ameisengleich Autos und Menschen bewegen. Auf dieses Gefühl warte ich hier vergeblich.

Reaktionen individuell: Alle paar Meter anhalten, zur rechten Wand drehen, die Bolzen für die Kletterrouten anschauen. Übersprungshandlung, solange sehe ich den Abgrund nicht. Hilft aber. Die anderen überlegen, ob ich wohl wirklich durchgeknallt genug bin, ausgerechnet hier klettern zu wollen. Gerd cool: Durch seine Drogenerfahrungen sei er an chaotische Perspektiven gewöhnt. Johannes blaß, wirkt weich in den Knien, so kenne ich ihn gar nicht. Dirk schwankend zwischen neineinein und jajaja. Mark bleibt ganz zurück.

An der Ecke, an der die Schlucht beginnt, haben Dirk und Johannes genug, ich will ein wenig weiter, damit jemand ein spektakuläres Bild von mir machen kann; pirsche dann von Neugier und Adrenalin getrieben solange voran, bis hinter einer Treppe ein Loch klafft: Camino del Rey, Aluschiene Drei Meter Weg fehlen, nur noch der äußere Stahlträger und ein Stahlseil an der Wand überbrücken die Tiefe, ohne Klettergurtsicherung praktisch unpassierbar. Ein Spanier trabt an, ich sage 'Es fin para mi', er steigt locker die Treppe hoch, stutzt, stockt, guckt, guckt nochmal, dreht sich zu mir: 'Para mi tambien.' Für ihn auch Ende. Gerd kommt hinterher, hat ein wenig von seiner Coolness verloren ... ich in Sorge: Hoffentlich will er nicht drüber, nur um seine Coolness zu beweisen ... es wäre Wahnsinn, so gut klettert er noch nicht, daß er das mit vertretbarem Risiko könnte. Aber er kommt zurück.

Beobachtung: Man kann sich dran gewöhnen, der Rückweg ist nur noch halb so aufregend. Hinuntergucken ist nicht wirklich schlimm. Schwierig ist vor allem der Übergang vom waagerecht Gucken zum senkrecht Gucken. Erklärungsmodell: Der Gleichgewichtssinn besteht aus zwei kombinierten Sinnen, der Wasserwaage im Innenohr und den Augen, die sich an waagerechten und senkrechten Linien orientieren. Schwindelgefühl in der Höhe entsteht aus der Diskrepanz zwischen dem ungewohnten Augeneindruck und dem nach wie vor funktionierenden inneren Gleichgewicht; d.h. es wird versucht, da nach vorn nur Leere ist, eine neue Senkrechte herzustellen, also zieht der Abgrund an. Wer sich zu sehr auf die Augen verläßt und/oder sich nicht umstellen kann, hat hier ein Problem.

Um überhaupt bis hier zu kommen, gilt es schon ein kleines Abenteuer zu bestehen: Der einzige Zugang ist eine Reihe von Eisenbahntunnels und -brücken, die zu Fuß passiert werden müssen. Eingleisige Strecke, ab und zu Personenzüge, Güterzüge zumindest wochenends tagsüber kein einziger. Die Lokführer kennen die Gegend, wissen, da laufen ständig Leute am und auf dem Bahndamm, hupen und tuten, im Tunnel fällt einem fast das Trommelfell heraus, berichtete Regine vom Wochenende vorher.

Ohne Blitz geht nichts

Gegen Samstag Nachmittag waren wir nach langer Fahrt in anfangs langweiliger, später spannender Landschaft angekommen, die Jungs bestanden erstmal auf Siesta am Pool, Chicas gucken und gut (hervorragend) Essen (komplettes apartamiento para cinco personas 7000 pts per noche, elchorro@vnet.es), so daß wir erst spät losgekommen waren. Gut daran, daß die Anfängerwand (so ab 5, 5+ bis 7- nach deutschen Ratings, wo lernen Spanier eigentlich die Grundzüge?) gerade eben in Schatten geriet, als wir sie schließlich fanden. Über 500 präparierte Touren in El Chorro, der Führer ein ganzes Buch, viersprachig herausgegeben vom Malagaer Kletterverein -- da ich mal wieder herkommen würde, befanden die Jungs, ich hätte es allein zu kaufen.

Kleingriffige Plattenkletterei, selten mehr Halt als für aufgestellte Fingerkuppen, nach der Größe der Griffe könnte die Wand durchaus höher bewertet werden, allerdings ist sie mit 70-80 Grad Neigung relativ flach. Warmer bis heisser Fels, teils Zehenspitzenarbeit, teils Reibungskletterei, die Sohlen sehen nach wenigen Touren aus wie mit der Drahtbürste gefleddert. Wie lokal Später mit Klettergurt und eingeklinkt ...die Sicht wird, wenn man in der Wand kämpft! Die Richtung ist durch die Bolts eh vorgegeben, genaueres Sehen der weiteren Route ist wegen der kleinen Griffe eh unnötig, runtergucken auf die schon erkletterte Strecke ohnehin nicht hilfreich, also konzentriert man sich nur noch auf die Reichweite von Armen und Beinen und vielleicht ein wenig darüber hinaus. Allerdings, sobald man kreativ vom 'darüber hinaus' Gebrauch macht, schallt's von unten: 'Ey, Du gehst aus der Route, Schummler!' Also nur das direkt Erreichbare; das ist beschäftigend genug: Was hält mich, wofür habe ich Kraft genug, mich dran hoch zu ziehen oder zu stützen? 10 bis 50cm hoch, danach erneut die Suche, manchmal tut sich dann plötzlich ein Henkel auf, oft ist da aber gar nichts, also noch ein Zug am alten Griffchen, hoch mit den Füßen, durchziehen bis unter Hüfthöhe, ganz manchmal sogar geraten alle Füße und Hände bis auf gleiche Höhe, nur die Balance hält uns noch in der Wand. Gleichgewichtsspielchen: Vorsichtige Gewichtsverlagerung von einer Seite zur anderen, um ein Bein oder einen Arm zu entlasten und schließlich frei zu kriegen, um eine Bewegung machen zu können: Reicht mein Halt aus für diese Bewegung, funktionieren meine Griffe und Tritte noch, wenn ich sie unter anderem Winkel belaste? Von manch sicherem Tritt mag man sich gar nicht lösen, wenn alle anderen Gliedmaßen auf diesen kleinen Käntchen klammern, wenn gar nur noch der Reibungsdruck den anderen Fuß in der Wand hält. Hilft aber nichts mehr, der alte Tritt muß verlassen werden, hinaus ins Ungewisse.

Bis in die Dämmerung hinein klettern wir, viel schneller als bei uns daheim wird's dunkel. Tunnel im Dunkeln sind noch dunkler. Mark hat seine Arielle, Dirk und ich verlangen, daß er die Funzel löscht, sie macht die Finsterkeit kaputt. Dirk nimmt sogar seine phosphoreszierende Armbanduhr ab, jedes Lichtlein stört nur. Lampe von vorne, wackelt auf uns zu, Kiddiegeheimtip scheint El Chorro zu sein; Dirk kollidiert fast mit zwei Chicas, die einen Meter vor ihm aus der Schwärze auftauchen und eine links, eine rechts an ihm vorbeiziehen, ohne wirklich gesehen worden zu sein.

Reichlich erledigt Ankunft im 'La Garganta', Sprung in den Pool, tut das gut! Üppiges hervorragendes Essen, rauhe, aber attraktive Chica am nächsten Tisch, Augenflirt, leider sehe ich sie nicht wieder am nächsten Tag. Die anderen verkriechen sich in die Betten, ich schlafe trotz des Sturms lieber auf der Terasse, voll von Gedanken an große Taten und der Wind bläst dazu.

Soweit der Samstag.