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Februar 2000
Ich habe eine alte Mail wiedergefunden, den Bericht von meinem allerersten
Mal Klettern, geschrieben vor knapp vier Jahren. Letzte Woche bin ich
dieselbe Tour zum Aufwärmen locker vorgestiegen ... wie sich die Perspektiven
verschieben ...
März 1996
Als Kind bin ich viel herumgeklettert, Felsen, Bäume, was gerade
im Weg stand. Seit mir aber vor einigen Jahren mein Vermieter erzählte,
daß genau da, wo ich gerade ungesichert herumgekraxelt war, vor
wiederum einigen Jahren jemand mit einer 10m x 10m großen Platte
(Schiefer) heruntergekommen und danach nicht mehr viel von ihm übrig
war, war mir das Klettern für lange Zeit unheimlich geworden. Vor
ein paar Tage aber stand plötzlich eine Einladung im Raum ...
Gestern nahm Lothar Holgi und mich zum Klettern mit:
Unser erster Versuch des Freeclimbings, mit Sicherheitsausrüstung.
Es war hochinteressant, spannend, beängstigend, eine Erfahrung, leider
beeinträchtigt durch unzureichende Ausrüstung, spezielle Kletterschuhe
statt der normalen Straßen- und Wanderschuhe wären sicherlich hilfreich
gewesen.
[...]
Die Schlußszene der zweiten Tour: Nahezu
senkrechte Wand mit leichten Wellen, mal 5cm hinein in den Berg, mal 5cm
heraus aus dem Berg. Mein rechter Fuß steht nach innen gedreht 'bequem'
auf einem 5cm breiten, nach rechts und zum Berg hin abschüssigen Vorsprung;
der linke saugt sich verzweifelt an einer leicht rauhen Fläche mit etwa
70ø Neigung zur senkrechten und etwa 40ø Neigung zu mir fest; die linke
Hand hält mich am Berg, indem sie etwas über Kopfhöhe in einen Grat hineingreift,
der ein Fingerglied tief nach rechts eingekerbt ist; wenn ich mit dem
rechten Fuß voll auf die Zehenspitzen gehe und mich recke und strecke
erreicht die rechte Hand einen weiteren centimeterbreiten Grad, der spürbar
abschüssig zum Hang ist. Das ist alles, was ich an Halt finde, abgesehen
vom Sicherungsseil. Und nun??? Glup! Alles wäre halb so wild, würden nicht
noch zusätzlich meine Unterarmmuskeln, die die Finger bewegen, langsam,
aber spürbar, ihren Dienst quittieren und mein Kreislauf andeuten, er
würde demnächst vielleicht Zicken machen. Aber Lothar ist hier doch hochgekommen!?
Er ist 20cm kleiner als ich, kann also den oberen Grat gar nicht erreicht
haben an dieser Stelle. Wo zum Teufel hat er sich hochgezogen??? Immer
wieder tastet meine rechte Hand den Berg ab, aber findet und findet keinen
weiteren Halt. Lediglich direkt neben der linken Hand wäre eventuell ein
Halt, an dem ich mich hochziehen könnte - aber rutscht dann der linke
Fuß nicht ab? Und wenn nicht, wohin dann mit dem rechten Fuß? Keine Idee.
Blöde Situation.
Wieder runterklettern ist auch nicht drin,
an den Füßen habe ich keine Augen. Wäre das Seil nicht, würde ich es jetzt
ernsthaft mit der Angst zu tun bekommen, aber selbst mit Seil ist mir
verdammt mulmig zu Mute. Gut, ich kann jederzeit aussteigen, mich am Seil
herunterlassen, aber mein Vertrauen ins Material ist leider auch begrenzt.
Ich könnte auch das Seil greifen und mich per Klimmzug dran hochziehen
- aber dann? Verzweifelt mich am Seil festzuklammern mit schwindenden
Kräften, die Sicherung halb aufgegeben, weil ich sie zum Klettern benutze
- wie soll ich da wieder den Kontakt zum Berg herstellen, falls (falls!)
ich über mir wieder eine bequemere Stelle finde? Bah!
Also gut, ich versuche, mich am oberen
Grad hochzuziehen, schaffe 20cm, spüre, wie Lothar das Seil straffzieht
und damit etwas hilft, schaffe 30, 40cm, der rechte Fuß sucht nach Halt,
findet keinen, die rechte Hand beginnt langsam zu rutschen, die linke
Hand ist mein Haupthalt, zieht mich zum Berg, kann nicht gelöst werden
deshalb, der linke Fuß hält zu meinem Erstaunen die Position, ich kann
sogar leicht nachdrücken damit. Na klasse. Wohin mit dem rechten Fuß?
Könnte ich ihn nach außen drehen, könnte ich mich vielleicht auch mit
ihm noch in den Grad klammern, aber kostet das nicht Andruckkraft auf
dem linken Fuß, der dann bestimmt doch abrutscht? Außerdem müßte ich zum
Drehen des Fußes mit dem Knie am Berg vorbeikommen, aber da ist mir mein
langes Bein im Weg, geht nicht (klingt unlogisch jetzt, ich hätte es doch
nach unten hängend ausgestreckt drehen können, mag man denken, aber aus
irgendeinem Grunde ging das auch nicht). Ich ziehe mich mit der rechten
noch weiter hoch, hoffe, mich mit der linken immer noch halten zu könen
und will mit der rechten nach einem weiteren Grat suchen - da rutsche
ich ab! Args! Bilder im Kopf: Aufsteigende Panik in dem Moment, als ich
die Finger rutschen spüre; Vernunft und Logik drängt sich rein: Schrei
eine Warnung nach unten, daß sie das Seil gut halten. Ich schreie Achtung!
Neues Bild: Natürlich tun sie das, ich sehe Lothar und Holgi im Geist
mich konzentriert beobachten, mir passiert nix. Neues Bild: Halten denn
auch die Ringe oben? Letztes Bild: Scheiß drauf, verlaß Dich drauf. Während
dieser Bilder bin ich etwa 30cm abgestürzt und während ich mich entspanne,
spüre ich, wie die Federwirkung des Seils einsetzt. So, jetzt baumle ich
am Seil, hänge vor dem Berg, muß komplett neu Halt suchen. Ich schreie
zu Lother, er solle mich noch etwas ablassen, damit ich mit dem rechten
Fuß wieder meinen 'bequemen' Halt finde.
Es kostet mich fast alle Kraft, nach und
nach die verschiedenen Gliedmaßen wieder am Berg unterzubringen und meinen
Körper heranzuziehen, erst den rechten Fuß, dann die linke Hand, den linken
Fuß erst neben den rechten, die rechte Hand nach längerer Suche wieder
auf den obersten Grat, dann den linken Fuß wieder an die geneigte Fläche,
die rechte sucht weiter, findet nichts anderes, ein erneuter Versuch,
mich hochzuziehen, wieder abrutschen, ... wieviele Versuche habe ich gemacht?
Zwei waren es sicher, es können auch vier gewesen sein, dazwischen mehrere
erfolglose Ansätze, bei denen ich nicht einmal spürbare Höhe gewonnen
habe. Schließlich die Erkenntnis: Da kommst du heute nicht hoch.
[...]
Hinterher wollen wir mit dem Motorrad zurueck
nach Hause, doch Ueberraschung: Meine Unterarmmuskeln sind dermassen ueberlastet,
dass ich noch nicht einmal die Kupplung ziehen kann. Einzige Lösung:
Finger krümmen, am Hebel einhaken, mit der Schulter ziehen ...
Ein paar Monate später habe ich mir anläßlich des KORP-Kletterkurses
meine ersten Kletterschuhe, Gurt und einen Karabiner gekauft. Da stand
dieses Gefühl im Raum und nagte an mir, diesen Mißerfolg könne
ich nicht auf mir sitzen lassen ...
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